Schach ist eine grausame Geliebte… Bericht vom Neujahrsblitz in Starnberg aus der Seniorenperspektive
Gestern abend fand das Neujahrsblitzturnier in Starnberg statt. Eigentlich nicht das Ereignis, über das man sich unbedingt verbreiten möchte, wenn es den Autor nicht so sehr sentimal mit seiner schachlichen Jugend – mit 42 Jahren begann er 1995 Turnierschach zu spielen – verbinden würde. Da waren so viele aus den guten alten Zeiten versammelt, und vor allem jene, gegen die ich damals bei der Starnberger Stadtmeisterschaft, später in der Zugspitz- und Bezirksliga nie den Hauch einer Chance besaß.
Nun sind fast 25 Jahre ins Land vergangen, der Autor ist mittlerweile Senior, und man sollte meinen, dass er bei einem Blitzturnier eigentlich keinen Blumentopf mehr gewinnen kann.
Nun, ich durfte mich davon überzeugen, dass dieses Vorurteil vollkommen daneben lag. Im Gegenteil, Zum ersten Mal in der Genesis des Autors konnte er als diesmal einziger teilnehmender Vertreter des SC Gauting mit den Koryphäen der Starnberger Schach-Elite locker mithalten. Es waren zwar nicht alle am Start, schmerzlich vermisst wurden Florian Mayr und Axel Tuchenhagen, natürlich auch Uli Sperber, aber Sven Szalewa, Fritz Absmair, Matthias Litzka, Dr. Epple, Klaus Gschwendtner, Martin Fuchs, Richard Litzka und viele 1900er Spieler aus der zweiten Reihe machten das Event zu einem hochklassigen Turnier, in dem bei 13 Runden der Autor einen Gegnerschnitt von 2000 mit einer Turnierleistung von ca. 2100 bewältigen konnte.
Es fing mit Martin Fuchs an, der dem auf ICC „President“ genannten weißen Spieler Gelegenheit zu einer vorteilhaften Falschfarben Grünfeld-Partie gab. Seit etwa drei Jahren experimentiere ich mit dieser Variante und sie gibt dem gewohnten Reti Aufbau eine sehr scharfe Wendung, da der Läufer auf g2 schon flankiert ist. Martin Fuchs verlor dabei schnell zwei Figuren und gab auf. Der nächste Gegner, Johannes Schmied, der sich im Philidor als Angreifer hervorragend auskennt, konnte sein Wissen nicht in die Geschwindigkeit der Blitzabwicklungen übertragen, in einer komplizierten Stellung nicht mehr an den obligatorischen Königsangriff denken und streckte nach einer unvorteilhaften Abwicklung die Waffen nach Zeit. An der Tabellenspitze fühlt sich ein President natürlich wohl und nach dem Motto „Je oller, desto doller“ musste die nächste Koryphäe leiden. Leider ließ ich Herrn Dr. Epple unachtsam in ein Remis entkommen, aber er hatte es eigentlich nicht verdient.
In einer kunterbunten Partie mit Clemens von Schmädel fehlte ein wenig das Selbstvertrauen … ja da hatte ich wahrscheinlich im Endspiel übersehen, dass mir ein Läuferopfer zum Gewinn getaugt hätte, da der verbliebene Springer das Ende der Bauernkette schlecht gegen den eindringenden König verteidigen konnte. Trotzdem war ich mit dem Remis zufrieden. Nun wurde es aber auch zu bunt und Richard Litzka zeigte, wie man durch Lavieren eine ausgeglichene Stellung solange kneten kann, bis die Zeit fällt. Er hatte mich regelrecht in einen Dornröschenchlaf verzaubert. Vielleicht sollte der Autor doch lieber daheim schlafen und beim Blitzen wach sein, aber japanisches Minzdoping war gerade nicht verfügbar. An Niederlagen soll man ja bekanntlich wachsen. Nach dem Verlust der Spitzenposition in der Tabelle musste nun unbedingt wieder ein Punkt her, und mein alter Freund Dr. Ludwig zeigt sich auch in einer Philidor-Partie sehr spendabel.
Nun ging es hin und her, der nächste Gegner war der spätere Turniersieger und ihm gelang eine wunderbare Springergabel für die ich mit der Dame bezahlen musste. Da konnte man wieder Beten lernen. Die Stellung war noch mit Springer und Turm gegen eine Dame nicht zu halten, und es fehlte nun wirklich auch an Zeit. Ähnlich frech wurde meine Präsidentenehre vom Vorsitzenden des SC Starnberg in einer Falschfarben-Grünfeld-Partie angegriffen. Ich weiß nicht, welche Schlafmittel diese Leute einem einflößen. Vielleicht ist es deswegen, weil sie in schlechter bzw. wie hier in katastrophaler Stellung, alle Figuren möglichst auf dem Brett lassen. Fritz Absmair jedenfalls war im Grunde chancenlos und im Königsangriff auf der h-Linie stecken geblieben, aber ich konnte mein Zeitkonto nicht schnell genug auffüllen und musste nach Zeit aufgeben. Aller guten Dinge sind allerdings drei, es kam auch in der Partie gegen Matthias Litzka zum Falschfarben-Gruenfeld, ich war wieder aufgewacht und Herr Litzka behandelte diesmal seine schlechte Stellung so zaghaft, dass es mir gelang, nicht einzuschlafen, und den fälligen Punkt zu kassieren.
Mut machte auch die Partie gegen Oliver Rulik. Ich weiß nicht wieso e4-Spieler, die Königsgambit anbieten, sich nicht mit dem berühmten Missgriff des Meisters aller Zeiten , Bobby Fisher auseinander setzen. Der dachte mal, es wäre eine gute Idee den Springerausfall nach e5 durch d6 zu verhindern und entwickelte das Fisher-Gambit als seine ureigene Erfindung. Aber wie Albert Einstein mit seiner „Kosmischen Konstanten“, so haderte auch Bobby mit seinem Gambit. Es ist vollständig wiederlegt. Ich spiele das im Blitz nur deshalb, weil der Gegner das nur etwa 1 % der Fälle kennt. Und der wirklich formidable Gegner Oliver Rulik kannte die richtige Antwort auch nicht. So konnte ich als Schwarzer die Bauernkette h6,g5,f4 stabilisieren und damit ist die Partie eigentlich gewonnen. In diesem Fall gelang auch ein sehr schönes Mattbild mit dem umher irrenden weißen König, der auf g4 vom Turm g3 kalt erwischt wurde. Nach dieser Partie begann der Abend zu gefallen. Auch Hans-Joachim Sosna mochte sich da nicht querstellen, obwohl er schon bemerkenswerte 5,5 Punkte auf dem Konto hatte.
Nun kam nach der Pflicht die Kür. Benjamin Aldag ist beim Blitzen eine enorme Herausforderung, da er über ein unerschöpfliches Repertoire an Eröffnungswissen verfügt. Ich nahm ihn deshalb besonders ernst, lief aber in einer offenen Philidorvariante in eine Springergabel und büßte dann die Qualität ein. Das Endspiel mit Springer gegen Turm war nicht zu halten. Die Kür war also gründlich daneben gegangen. Nun kam es auf die letzte Partie an und hier entschied sich, wen die Götter lieben, und … wen nicht. Herr von Saldern spielt ein ausgezeichnetes Grünfeld und verleitete den Schwarzen zum unberechtigten Kassieren des Bauern auf a2. Schwarz stand danach fürchterlich gegen einen weißen Springer auf d5 und nach Läuferabtausch auch gewaltigen Springerabzügen. Kompliment dem Gegner! Gleichzeitig hatte der nur noch wenige Sekunden auf der Uhr. Es lohnte sich also weiter zu spielen. Nachdem ich ein zweizügiges Matt gegen mich hatte, suchte ich verzweifelt nach dem rettenden Strohhalm und siehe da, es blinkte … Die Zeit des Gegners war gefallen, was ihn zu einem ungeahnten Wutausbruch verleitete. Aber Schach ist eine grausame Geliebte. Sie lässt Dich tausend Tode sterben, und gibt sich ohne wirkliche Begründung dem hin, der es am wenigsten erwartet.
So kam es , dass ein alter Mann die Freude hatte, in diesem schweren und gut besetzten Turnier mit der Starnberger Schachelite mithalten zu können, obwohl das im Buch des Lebens eigentlich nicht vorgesehen ist. Ich glaube Hermann Thaler, dessen Gedächtnispokal ich letztes Jahr mit Thomas Sörgel erobern durfte, hätte es vielleicht gefreut wie ein gealterter 1600er Spieler ganz allein eine vollbesetzte Starnberger Bezirksligamannschaft von Brett 1 bis Brett 8 komplett niedermacht. Es war zwar bloß Blitz, aber es hat trotzdem gut getan.
Dank an Clemens von Schmädel, der mir eine Mitfahrgelegenheit bot.